Heft 20, 2/2005

Einfühlen in den Fluss der Bewegungen

Zhaobao Taijiquan
Von Christian Spruner von Mertz

Zhaobao Taijiquan ist ein hierzulande noch wenig bekannter Taiji-Stil. Seine Entwicklungsgeschichte ist umstritten, reicht jedoch mindestens bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Obwohl es Parallelen zum Chen-Stil und überwiegend dieselben Grundprinzipien wie andere Taijiquan-Stile aufweist, hat es doch einen sehr eigenen Charakter. Christian Spruner von Mertz beschreibt es als besonders fließend in den Bewegungen, fast spielerisch im Variieren der Figuren und sehr effektiv in seinen Anwendungsmöglichkeiten. In seiner Darstellung des Zhaobao Taijiquan werden aber auch die gemeinsamen Grundlagen aller Stile deutlich.

Durch seine beinahe tänzerisch anmutenden Bewegungen und seinen ihm eigenen Charakter vermittelt das Zhaobao-Taijiquan selbst Taiji-Praktizierenden einen außergewöhnlichen Anblick und ist außerdem sehr verblüffend in seinen Anwendungen.
Zum ersten Mal kam ich mit dem Zhaobao-Taijiquan in Berührung, als ich vor drei Jahren nach China reiste, um dort in Xian für drei Monate zu trainieren. Zu diesem Zeitpunkt übte ich regelmäßig den Chen-Stil sowie TaijiDao und würde es wahrscheinlich auch heute noch tun, wenn mir damals Ma Yaoxiang nicht begegnet wäre. Ma Yaoxiang trainierte jeden morgen am selben Platz in einem Park den Zhaobao-Stil. Er war mir auf Anhieb sehr sympathisch und obwohl ich kaum ein Wort Chinesisch verstand, kamen wir schnell in Kontakt und grüßten uns jedes Mal freundlich. Es war faszinierend für mich, ihm bei seinem täglichen Training zuzuschauen, war es doch irgendwie anders als alles, was ich bisher an Taijiquan gesehen hatte. Mit tänzerischer Leichtigkeit und sehr anmutigen und fließenden Bewegungen „spazierte“ er quasi durch seine Form. Die mir vom Chen-Stil her bekannte recht langsame, sehr genaue und auf Struktur bedachte Art zu üben unterschied sich sehr von dieser eher lässigen Art und Weise. Und so fragte ich mich, ob diese Art zu trainieren auch effektiv im Sinne der Kampfkunst sei.
Meine Frage blieb nicht lange unbeantwortet, denn schon bald hatte ich die Gelegenheit, Ma Yaoxiangs Fähigkeiten im Tuishou kennen zu lernen. Er verdrehte mich mit spielerischer Leichtigkeit in alle erdenklichen Richtungen oder schleuderte mich davon, ohne dass ich auch nur die Idee einer Chance hatte, mich dagegen zu wehren. Immer wenn ich zu einer Aktion ansetzen wollte, nutzte er meine Intention und schon fand ich mich entweder auf dem Boden oder in einem schmerzhaften Hebel wieder. Meine bis dahin sorgfältig geordnete Struktur half mir wenig, ebenso die Tatsache, dass ich zu diesem Zeitpunkt immerhin schon einige Push-Hands-Turniere recht erfolgreich bestritten hatte. Ich fühlte mich in seinen Händen wieder wie ein blutiger Anfänger und so zerbrechlich wie ein Streichholzmännchen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich Ma Yaoxiang fragen musste, ob er mir seine Form beibringen könne. Seine Antwort war „Kö I“, „Das kann ich machen“, und er machte mir mit bedeutungsvoller und ernster Miene verständlich, dass es gleich am nächsten Morgen mit dem gemeinsamen Training losgehen könne.

Die Bewegungen erschienen mir noch fließender, als ich es von anderen Taiji-Formen her kannte, und darüber hinaus durch den etwas schnelleren Ablauf auch weniger statisch. Ma Yaoxiang bewegte sich schon beinahe „amorph“ durch seine Form. Die Figuren besaßen scheinbar keine „feste“ Struktur. Dies ließ mich manchmal schier verzweifeln, denn einmal lief er die Figuren so und beim nächsten Mal sahen sie irgendwie anders aus. Doch merkte ich bald, dass es meinem Lehrer gar nicht so sehr darauf ankam, dass die Bewegungen exakt kopiert und ständig gleich reproduziert wurden. Es ging ihm eher darum, sich in den entspannten Fluss der Bewegungen einzufühlen und damit einen Energiefluss und ein Wohlgefühl während des Formlaufens zu erzeugen.
Und tatsächlich habe ich keinen Zhaobao-Schüler beziehungsweise -Lehrer entdeckt, der die Form genauso läuft wie ein anderer. Scheinbar gibt es keine strengen Vorgaben, sondern eher einen großzügigen Rahmen, in dem man sich frei bewegen und entfalten kann. Ein weiterer Unterschied zu anderen Taiji-Stilen sind die verschiedenen Tempi des Formlaufens. Sie variieren von einem sehr langsamen, zeitlupenhaften Tempo über ein angenehm fließendes mittleres bis hin zu einem atemberaubenden dynamischen Tempo und explosiven Bewegungen. In der Regel wird die Zhaobao-Form jedoch im mittleren Tempo durchgelaufen, das schneller ist, als ich es von anderen Stilen her kenne.

Die Ausführung der Figuren lassen sich ebenfalls verändern. Von kleinen, minimalistischen Kreisbewegungen bis hin zu sehr ausladenden, großen Ausführungen ist alles möglich. Normalerweise wird die Form sehr weich gelaufen. Allerdings lassen sich durchaus auch Explosionsbewegungen (Fajin) in den Ablauf einflechten.
Neben dem Tempo variieren Höhe und Tiefe der Stände. In manchen Passagen der Form kommt man in einen fast normalen Stand hoch, während man in anderen die Option hat, sehr tief bis auf den Boden hinunterzugehen. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass die vertikalen Kreisbewegungen und Energieverläufe beim Zhaobao-Taiji sehr betont werden. An manchen Stellen der Form steht man für einen kurzen Moment mit gleichem Gewicht auf beiden Beinen. Dies wird nicht als Fehler angesehen. Überhaupt erscheint mir das Zhaobao-Taijiquan sehr unorthodox.
Die innere Verbundenheit und Struktur des Körpers entstehen allein durch das fließende, entspannte Durchlaufen der verschiedenen Figuren. Das Hauptaugenmerk des Trainings liegt somit auf dem Üben dieser einen Form. Sie ist so konzipiert, dass man an ihrem Ende ansatzlos wieder von vorne anfangen kann, um den Bewegungsablauf, so oft es Zeit, Lust und Verfassung erlauben, ohne Unterbrechung durchlaufen zu können. Im Zhaobao-Taiji gibt es zwar verschiedene Waffenformen, jedoch keine weitere Handform, die geübt werden müsste. Man kann sich also voll und ganz dem Praktizieren einer Form widmen. Durch das Variieren in den Bewegungen innerhalb des einen Ablaufes wird es nicht langweilig, sie mehrere Male hintereinander zu üben. Hinterher fühlt man sich erfrischt und energetisiert.
Diese spielerische Freiheit macht für mich die Besonderheit der Zhaobao-Form aus. Sie ist sehr flexibel und lässt sich der Verfassung und Tagesform gut anpassen und verändern. Das lustvolle Üben der fließenden Bewegungen ist das Entscheidende.

Strittiger Ursprung

Darüber, wie das Zhaobao-Taiji entstanden ist, scheiden sich die Gemüter. Die Anhänger des Zhaobao-Tajiquan vertreten die These, dass Zhang Sanfeng die Grundlagen für das Zhaobao-Taijiquan schuf. Ihrer Meinung nach war es ein umherziehender daoistischer Mönch, der das Wudang-Taijiquan des Zhang Sanfeng weitergab, und zwar an den in kriegerischen Künsten bewanderten ritterlichen Wang Zongji in Ancheng in der Provinz Shanxi. Bei einer seiner Reisen passierte Wang Zongji den Marktflecken Zhaobao im Distrikt Wen in der Provinz Henan und nächtigte dort.
Als ein gewisser Jiang Fa das hörte, machte er ihm seine Aufwartung. Auf das inständige Bitten Jiang Fas hin machte Wang Zongji ihn zu seinem Schüler. Jiang Fa folgte Wang Zongji nach Shanxi und studierte seine Kampfkunst sieben Jahre. Danach kehrte er zurück und gab seine Kunst in Zhaobao an Xing Xihuai weiter. Über lange Zeit hinweg waren es Jiang Fa aus Zhaobao und seine Schüler, die für die Ausarbeitung, Verbreitung und Entwicklung dieses Taiji-Stils sorgten. Xing Xihuai überlieferte an Zhang Chuchen, Zhang Chuchen an Chen Jingbai, Chen Jingbai an Zhang Zongyu, dieser an Zhang Yian und Zhang Yian an Chen Qingping.
Zu Chen Qingping heißt es aus anderer Quelle, er habe nach Zhaobao eingeheiratet und den Chen-Stil aus Chenjiagou dorthin gebracht. Erst dann entwickelte sich daraus der Zhaobao-Stil. Ich fragte Li Suicheng, einen sehr erfahrenen Lehrer des Zhaobao-Taijiquan, zu diesem Thema und er antwortete „... Von dieser Erklärung kann man mit Sicherheit sagen, dass sie falsch ist. Es war in der traditionellen Denkweise unmöglich, dass Söhne und Brüder aus reichem Hause als „Andere“ in das Haus ihrer Braut einzogen. Die Nachkommen des Chen Qingping aus dem Marktflecken Zhaobao empfinden eine extreme Abneigung gegen diese Erklärung.“

Tatsächlich gibt es einige Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen der ersten Form des Chen-Stils und der Zhaobao-Form, so dass ich davon ausgehe, dass es in der Tat einen Einfluss und eine Vermischung gegeben haben muss. Viele Ausführungen und Abschnitte der beiden Formen unterscheiden sich jedoch komplett voneinander. Interessanterweise hat die Zhaobao-Form, so wie ich sie gelernt habe, die gleiche Anzahl von 75 Figuren wie die Yilu des Chen-Stils. Es gibt jedoch auch eine Zhaobao-Form, die vom Ablauf fast gleich ist, aber aus 108 Figuren besteht und demnach die gleich Anzahl wie die ursprüngliche Yang-Form aufweist.
Wie dem auch sei, erst ab He Zhaoyuan (1811 – 1891), einem Studenten von Chen Qingping, wird vom „He“-Stil, wie das Zhaobao-Taiji ebenfalls genannt wird, gesprochen. Erst durch ihn entwickelten sich die besonderen Merkmale des Zhaobao-Stils, so wie wir ihn heute kennen. Um 1840 ging He Zhaoyuan in die Hauptstadt. Während seines Aufenthalts lernte er die verschiedenen Stile der dortigen Kampfkünste. Dann kombinierte er dieses Wissen mit der Theorie des Taijiquan und dessen spezifischen Merkmalen. He Zhaoyuan änderte den Zhaobao-Stil somit ab und passte ihn an reellere Kampfsituationen, so wie er sie verstand, an. Er verbesserte seine Kampffertigkeiten enorm und entwickelte so seinen eigenen Stil des Taijiquan.
He Zhaoyuan gab das He-Stil Taijiquan an seine Söhne He Jingzhi und He Renzhi sowie an seinen ältesten Enkel He Qingxi weiter. Er erwarb den Rang des Wu Ying Lang, eine hohe Position mit Spezialisierung auf Kampfkünste und die Kontrolle der Hauptgarnison, und unterrichtete die Mitglieder der königlichen Familie im Ringkampf. So war He Zhaoyuan über die Regierungszeit mehrerer Herrscher hinweg auch Leibwächter hoher Beamter.
He Zhaoyuans Sohn He Jingzhi wurde zum Wen Lin Lang ernannt, einem Beamtenstatus mit Spezialisierung auf Kampfkunst, und schrieb ein Buch mit dem Titel „Methoden der Kampfkunstmeister“. He Qingxi (1862 – 1936) unterrichtete viele Schüler, von denen sein Neffe He Xuexing, Zheng Wuqing, Zheng Boying, Hao Yuqiao und Guo Yun die bekanntesten sind.
Lange Zeit begrenzten die geheime Überlieferung und strenge Regeln die Ausbreitung des Stils und nur wenige Menschen kannten die Zhaobao-Taijiquan-Schule. 1937 verließen die Schüler der zehnten Generation Zheng Boying und Zheng Wuqing aufgrund der Wirren des Krieges gegen Japan den Flecken Zhaobao und zogen nach Xian. Erst dadurch, dass diese viele Schüler annahmen, konnte sich der Zhaobao-Stil im Nordwesten ausbreiten. Sie wurden „die zwei Zhengs des Nordwestens“ genannt und hatten zahlreiche Schüler aus allen fünf Provinzen im nordwestlichen Teil Chinas.
Zheng Wuqing (1895 – 1984), auch Fengchen genannt, wurde von dem berühmten Huangpu Militärinstitut eingeladen, um Kampfkünste zu unterrichten, und erhielt ein Amt an der siebten Zweigschule für Kampfkunst der Whampoa-Akademie. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 wurde er Mitglied des Kampfkunstverbandes in Xian und übernahm ein Amt in der Wushu-Lehreinrichtung der Stadt. Zheng Wuqing war einer der wichtigsten Erben des Zhaobao-Stils in der jüngeren Zeit und trug maßgeblich zu seiner Verbreitung, besonders in Xian, bei.

Merkmale und Prinzipien des Zhaobao-Taijiquan

Viele Wesenszüge des Zhaobao-Taijiquan entsprechen natürlich denen anderer Taiji-Stile. Das Ziel des Formlaufens ist, den Körper weich und geschmeidig zu machen und ihn gleichzeitig zu festigen und zu kräftigen. Das wichtigste Prinzip lautet daher sich leicht, entspannt und natürlich zu bewegen.
Taijiquan fordert „Wenn sich eins bewegt, gibt es nichts, das sich nicht bewegt; wenn eins ruhig ist, gibt es nichts, dass nicht ruhig ist.“ Dies gilt natürlich auch für das Zhaobao-Taijiquan. Die Form entspricht den Proportionen und der Struktur des menschlichen Körpers. Die Bewegungen erfordern die Harmonie von Schultern und Hüfte, Ellenbogen und Knien, Händen und Füßen. Jede Bewegung soll von der Taille ausgehend ausgeführt werden. Wenn man sich durch die Form bewegt, bewegen sich immer alle Teile des Körpers als eine Einheit. Das Wichtigste – und Schwierigste – ist dabei, die verschiedenen zugrundeliegenden Prinzipien während des Formlaufens zu einer Ganzheit zusammenzuführen: Langsamkeit und Entspanntheit, kein Nachlassen in den fließenden Bewegungen, den Körperschwerpunkt während der Ausführungen die ganze Zeit gesunken halten. Wenn die Geste anhält, um die Richtung zu wechseln, darf der Geist nicht anhalten.
Oben und Unten müssen einander folgen. Kopf, Rumpf und Unterschenkel müssen in einer Geraden gehalten werden. Die Aufmerksamkeit folgt der Richtung des Beins, des Fußes, der Hand und des Körpers. Mit dem Auge folgt man der Geste und die Geste wird wiederum von der inneren Aufmerksamkeit getragen. Bei der Atmung dürfen die Gedanken diese nicht betonen oder lenken. Vielmehr sollte die Aufmerksamkeit auf das Mittige, das Gleichmäßige, das Runde, das Leichte, das Weiche und das Harmonische der Bewegung gerichtet sein und von allein zu einem natürlichen, in den Unterbauch fließenden Atem führen. Außerdem sollte man sich mit dem Geist auf den Fluss des Qi konzentrieren. Während man die Form ausübt, versucht man Geist und Bewegung zu einer Einheit zu verschmelzen und den Körper mit Bewusstsein zu führen beziehungsweise zu füllen.
Was die Geometrie der Bewegungen der einzelnen Figuren angeht, so sind es „runde“ Bewegungen im dreidimensionalen Raum. Im Grunde genommen sind es Bewegungen, die die verschiedenen Rotationen einer „Kugel“ in sich vereinigen. Alle Gesten in den Bewegungsfolgen sind demnach durchdrungen von runden, rotierenden und bogenförmigen Mustern. Jede der 75 Figuren besteht aus einer Sammlung von großen und kleinen, fließenden, spiralförmigen Kreisbewegungen, die sich miteinander verflechten. Das Qi innerhalb des Körpers wird somit angeregt sich in Kreisen zu bewegen, so dass innere Energie und äußere Kreise letztendlich zusammenfließen. Auf Grund dieser Charakteristik wird der He-Stil auch oft die kreisende Faustform genannt.
Zusammenfassend lassen sich folgende Regeln für das Üben der Zhaobao-Form aufstellen, die zugleich auch einen Entwicklungsprozess beschreiben. Es geht nicht so sehr darum, sie strikt zu befolgen, als ihnen durch das Üben den Raum zur Entfaltung zu geben.
„Kreisen“: Jede Position enthält kreisförmige Abläufe, die präzise geübt werden sollten. Das heißt, zu Beginn des Formtrainings soll man sich auf die runde und flüssige Form der Kreise konzentrieren, die in jeder Bewegung enthalten sind.
„Drei Vertikale“: Es ist notwendig, den Kopf und den Rumpf des Körpers aufrecht zu halten, während die Beine (Schienbein und Wadenbein) bei leicht gebeugten Knien senkrecht zum Boden stehen. Die Knie sollten dabei in einer senkrechten Linie über den Füßen stehen.
„Vier Ausrichtungen in eine Linie“: Das bedeutet, der Fuß wird genau mit dem Knie und dem Fußgelenk und die Hand genau mit dem Ellenbogen und dem Handgelenk in eine Linie gebracht. Bein, Fuß, Hand und Körper streben während der Ausübung der Bewegung alle in die gleiche Richtung.
„Sechs Zusammenschlüsse“: Die Hand stimmt mit dem Fuß überein, der Ellbogen mit dem Knie, die Schulter mit der Hüfte. Dies sind die drei äußeren Zusammenschlüsse. Der Körper erhält dadurch seine Stabilität. Das Herz fließt mit dem Geist (Verstand), die Energie mit der Kraft, die Sehnen mit den Knochen zusammen. Dies sind die drei inneren Zusammenschlüsse. Der Körper erhält dadurch seine Kraft.
„Acht kleine Verfolgungen“: Die acht kleinen Verbindungsstellen des Körpers, die Ellbogen, Hände, Knie und Füße, folgen den vier großen Verbindungsstellen des Körpers, den Schultern und beiden Seiten der Hüfte. Das bedeutet, dass Schritte und Gliedmaßen den Bewegungen des Rumpfes folgen.
„Nichts auslassen, keine Unterbrechung in der Bewegung“: Auslassen bedeutet, eines der Körperteile in der Bewegung zu vernachlässigen oder verspätet zu führen. Unterbrechen bedeutet, wenn die Figur noch nicht ausgeführt, die Hand oder der Fuß aber bereits an seinem Ziel angekommen ist. Hände und Füße, Ellenbogen und Knie, Schultern und Hüften fließen gleichzeitig zusammen in eine Richtung.
„Es fließt wie Wasser“: Der Bewegungscharakter im Zhaobao-Taijiquan ist sanft schwingend, um den Körper zu beleben, weich fließend, um ihn zu entspannen, und gemächlich gehend, um den Schritt sicher und fest zu machen. Während des Formlaufens bleibt das Schwerkraftzentrum des Körpers stets gesunken.
Sich im Zhaobao-Taijiquan zu üben ist ein koordinierter, nach Vollkommenheit strebender Prozess, in dem die Geschicklichkeit und Energie des Körpers genutzt werden, um seine ungeschickte Kraft zu entfernen. Es ist eine Entwicklung, bei der man sich von der Unnatürlichkeit und Unkoordiniertheit hin zur Natürlichkeit und Leichtigkeit bewegt. Während der ganzen Faustform bleibt die Körperhaltung zentral, aufrecht, eben, leicht, agil, abgerundet und lebendig mit fließenden und weichen Bewegungen, die sich gegenseitig ergänzen. Dabei gilt es, den Körper mit so wenig Muskeleinsatz wie möglich durch die Form zu führen. In den Kreis-, Bogen- und Spiralbewegungen wird ein Muskeleinsatz von der oberen bis zur tiefen Schicht bewirkt. Von der Außenschicht des Körpers bis in die Organe und Gefäße wird alles gleichermaßen von den Bewegungen betroffen, so dass jedes System im Menschen eine Kräftigung erfährt.

Kämpferische Aspekte

„Gesundheit ist die Basis, Kampf ist die Seele!“ heißt es beim Zhaobao-Taiji. Und weiter „Die Form ist Tuishou und Freikampf. Tuishou und Freikampf sind die Form.“ Dies bedeutet, dass sich die Figuren in der Form ohne weiteres auf das Tuishou und den Freikampf übertragen lassen. Jede Bewegung zielt auf eine Kampfsituation ab. Andererseits wiederum sollte man im Tuishou sowie im Freikampf den Bewegungscharakter der Form bewahren und umsetzen. In den Bewegungsabfolgen vermischen sich Techniken für einen realistischen Kampf zu einem harmonischen, kreisförmigen Tanz. So enthält die Form alle möglichen Arten von Hebeln, Würfen, Schleuder- und Haltetechniken sowie Schlag-, Stoß- und Tritttechniken. Doch bevor man die Bewegungen im Tuishou und im Freikampf umsetzen kann, muss man zuerst über Weichheit, sensible Reflexe, feste flexible Schritte und eine vollständige Explosionskraft verfügen. Dies erreicht man durch das kontinuierliche Praktizieren der Form. „Stählt“ man seinen Körper gemäß der geforderten Beharrlichkeit, gewinnen die Techniken immer mehr an Effektivität.
Zhaobao-Taijiquan hat sein eigenes, vollständiges Wushu-System. An Waffen gibt es Schwert, Säbel, Stock, Hellebarde und andere. Das Tuishou beinhaltet Übungen mit festgelegten und mit flexiblen Schritten sowie freies Pushen und Hebeln. Die verschiedenen Anwendungen und Techniken aus der Form können innerhalb der Kreisenden-Hände-Abfolgen mit einem Partner systematisch trainiert werden, um sie dann auf das freiere Spiel zu übertragen. Die Partnerübungen des Zhaobao-Stils sind Übungsformen, die sehr nahe an eine echte körperliche Auseinandersetzung angelehnt sind, jedoch ohne größeres Verletzungsrisiko. Durch die Kreisenden-Hände-Übungen kann man lernen, die Kraft und Bewegung des Partners zu nutzen, sowie die Fähigkeit entwickeln, ihn zu kontrollieren, an ihm zu haften und in ständigem Kontakt mit ihm zu bleiben. Sie bilden die Reaktionsgeschwindigkeit aus und festigen die Anwendung der Griffe und Hebel.
Jeder Taiji-Stil hat seinen eigenen Charakter. Prinzipien und Merkmale gleichen sich zwar, doch ist die Ausführung der Formen und Figuren zwischen den einzelnen Stilen oft ganz unterschiedlich. Daher sollte jeder denjenigen Stil für sich auswählen, bei dem er sich am wohlsten fühlt. Zhaobao-Taiji bildet dabei nur eine weitere Möglichkeit, sich innerhalb der großen Familie der Taiji-Stile weiterzuentwickeln und sein Leben und seine Gesundheit zu pflegen.

zurück

    Heft 15  

Christian Spruner von Mertz
beschäftigt sich seit seinem zwölften Lebensjahr mit asiatischen Kampfkünsten und lernt seit acht Jahren Taijiquan, Wushu und Qigong, seit 2002 Zhaobao-Taijiquan bei Li Suicheng und Ma Yaoxian. Seit 2000 unterrichtet er Taijiquan vorwiegend in Hamburg.