Heft 12, 2/2003

6. Chung Hwa International Tai Chi Chuan Cup

30. November bis 1. Dezember 2002 in Taipei/Taiwan
Von Roland Laritz und Andreas Edelmann

Roland Laritz und Andreas Edelmann nahmen das Turnier zum Anlass einer einmonatigen Trainingsreise nach Taiwan und berichten von ihren Erlebnissen im Peace Park und auf der Kampffläche.
(längere Fassung)


Roland Laritz:
Zwanzig Stunden nach unserer Abreise von Zürich standen wir vor dem Chiang Kai Shek Memorial in Taipei. Für mich war es die zehnte Reise nach Taiwan und die vielen Leute, der Lärm und der Smok vom Straßenverkehr machten keinen Eindruck mehr auf mich. Ich freute mich hier zu sein und vor allem meinen Lehrer Cheng Shen Shih und alle seine Schüler wiederzusehen.
Cheng Shen Shih hatte noch die Möglichkeit direkt von Zheng Manqing (Cheng Man Ching) zu lernen. Leider nur kurze Zeit, weil die Armut früher groß war in Taiwan und das Training bei Zheng Manqing für ihn einfach zu teuer gewesen sei, wie er mir erzählte. Darum war sein eigentlicher Sifu/Laushe Huang Sheng Shi, der ein langjähriger Schüler von Zheng Manqing war und der vor allem die Armen unterrichtete.

Andreas Edelmann:
Lange hatte ich auf diesen Tag gewartet und nun sah ich die Stadt von oben und alles wirkte etwas anders, als es ich mir vorgestellt habe. Als wir dann nach der Landung zum Chiang Kai Shek Memorial gehen, ist dort gerade eine Demonstration mit 100.000 Menschen und ich bekomme eine ersten Eindruck von der Größe dieser Stadt.

Roland Laritz:
Am nächsten Tag standen wir beide pünktlich um sieben Uhr morgens im Peace Park, wo täglich bis elf Uhr das Training stattfindet. Ich war noch etwas müde von der Reise und der Zeitumstellung, aber das Turnier in acht Tagen war Ansporn genug.
Eigentlich hatte ich das Gefühl gut vorbereitet zu sein, denn ich hatte mit einigen Schülern zahlreiche Turniere in Europa besucht, Danish Open, Swiss Open, British Open, den 1. European Cheng Man Ching Cup in Perigueux, die 1. German Open und natürlich die Europameisterschaften in Dänemark. Aber ich wusste nur zu gut, dass hier in Taiwan der Level einfach anders war. Vor zwei Jahren hatte ich schon mal versucht dieses Turnier zu gewinnen. Leider hatte es nicht geklappt, ich wurde Dritter. Damals lernte ich: Wenn man nicht viel, viel besser als die Taiwanesen ist, »fressen« sie einen mit Regelverstößen und anderen Tricks auf. Also hatte ich noch einiges zu tun.
Das Training im Park verlief anders als in Europa. Der Unterricht bestand aus einer halben Stunde Aufwärmen und anschließend wurde dreimal die 37er-Form gemeinsam geübt. Danach war das Training frei, das heißt, jeder konnte tun, was er wollte. Der Lehrer trank Tee und wenn er Lust hatte, zeigte er dir etwas oder eben nicht. Das erste Mal, als ich in Taiwan war, war das für mich wie ein Schock. Zum Glück konnte ich mich an diese Art des Unterrichts gewöhnen. Das meiste musste ich mir selber erarbeiten, weil man für die Chinesen immer ein neues, weißes Gesicht, ein Ausländer war. Hatte man aber eine gewisse Qualität oder Können erreicht oder sogar schon ein Turnier in Taiwan gewonnen, wollten alle deine Freunde sein und mit dir trainieren.

Andreas Edelmann
Der Peace Park ist in den Morgenstunden ein Tummelplatz für Taijiquan, Qigong und Gongfu. Viele Menschen kommen auch um einfach zu entspannen oder eine Runde Federball zu spielen. In dieser kleinen Oase zwischen den riesigen Wolkenkratzern und den stark frequentierten Straßen sollte sich also die große Taijiquan-Welt abspielen. Das Training war für mich zu Beginn etwas undurchsichtig. Es beschränkt sich darauf, dass der Lehrer dreimal die 37-Form zeigt und sich anschließend hinsetzt. Dann beginnen die Schüler miteinander zu üben. Ältere Schüler zeigen den jüngeren verschiedene Techniken, die dann aber nie lange geübt werden. Wenn du Glück hast und geschickt genug bist, trainiert ein guter Mitschüler mit dir längere Zeit. Sonst kann es auch vorkommen, dass keiner mit dir üben will, und einige Schüler stehen dann einfach rum.
Nach drei Tagen konnte ich meine Arme kaum mehr bewegen. Einige wollten mir beim Pushen, so schien es, den Arm abreißen. Andere waren so flink und technisch versiert, dass sich die ersten Tage wie ein Schlag vor meinen Kopf gestalteten. Ich war doch erst im Oktober Europameister geworden. Hier war eine verkehrte Welt für mich und ich brauchte fast zwei Wochen, bis ich damit zurechtkam. Nach dieser Zeit wurde ich etwas lockerer und viele Bewegungen machten erst jetzt einen Sinn. Langsam begann sich etwas zu verändern.
Moving Step Pushing Hands wird hier weniger gemacht, weil man bei einem Sturz in den Dreck fällt. Doch wenn sich ein Paar in den Kreis stellt, zieht das gleich die Aufmerksamkeit mehrerer Menschen an. Es erinnert doch mehr an einen Kampf und ist spektakulärer als Fixed Step. Nett waren die Kindergartengruppen, die uns dann immer anfeuerten.
Der Park bot für mich einige lustige Erscheinungen. Es kam öfter vor, dass während des Trainings ein Passant mitten durch die Übungsgruppe lief und mich dann für ein paar Minuten musterte. Viele Menschen trainieren alleine, klatschen einfach eine Zeit lang in die Hände oder auf andere Körperstellen und es gibt viele, die Formen machen, die ich noch nicht kannte.

Roland Laritz:
Nun war es soweit. Wir standen vor der großen Halle, in der das Turnier stattfand, und Hunderte andere standen dort auch. Zum Glück hatten wir einen Mitschüler vom Park dabei, der uns als Dolmetscher half. Beim Registrieren trafen wir einige bekannte Gesichter aus Europa und den USA, die wir schon auf anderen Turnieren in Europa oder in Taiwan gesehen hatten. Nach dem Wiegen stärkten wir uns mit einem reichhaltigen Frühstück. Ich wusste, dass jetzt noch einige Stunden bis zum eigentlichen Turnierbeginn vergehen würden.
Nach einer beeindruckenden Eröffnungsgala ging das Turnier mit zwei Stunden Verspätung los. Nun begann ein mühevolles Warten. Es gab keinen Zeitplan, wie ich es von den Europameisterschaften kannte. So standen wir Stunden vor dem Schiedsrichtertisch, um unsere Kämpfe nicht zu verpassen; denn wenn man nicht erscheint, hat man den Kampf verloren.
Der erste Kampf wurde im Fixed Step ausgetragen, alle anschließenden Kämpfe bis ins Finale im Moving Step. Die Kampfdauer war zweimal zwei Minuten und man musste beide Runden gewinnen, ansonsten folgte eine dritte für die Entscheidung. Beim Moving Step konnte die Runde vorzeitig gewonnen werden, wenn es gelang, vier oder mehr Punkte zu bekommen. Gekämpft wurde im K.O.-System, das heißt, wenn Du einen Kampf verloren hast, bist du draußen.
Mein erster Gegner war William C. C. Chens Sohn William Junior. Ich konnte diesen Kampf frühzeitig für mich entscheiden. Nun folgten zwei weitere Kämpfe gegen Taiwanesen, die nur an diesem Turnier teilnehmen konnten, wenn sie die Ausscheidungsturniere dafür gewonnen hatten. Auch diese beiden Kämpfe konnte ich für mich entscheiden.
Den Gegner im Finalkampf am nächsten Tag kannte ich, er kam aus dem Süden von Taiwan von einer sehr guten Push-Hands-Schule, die ich vor zwei Jahren besucht hatte. Die Jugendlichen trainierten dort konsequent und hart ausschließlich Push Hands. Das Formentraining war den Älteren überlassen, die am Abend die Kurse besuchten. Ich wusste noch, wie er kämpfte, und konnte mich gut auf ihn einstellen und die erste Runde frühzeitig für mich entscheiden. Die zweite Runde ging ich etwas lockerer an, weil ich wusste, dass er Punkte machen musste. Es ging null zu null aus. In der folgenden dritten Runde war ich ausgeruhter und konnte sie wiederum frühzeitig für mich entscheiden. Ich hatte das Turnier – sehr zur Freude meines Lehrers – gewonnen.

Andreas Edelmann:
Die Eröffnung war wirklich eindrucksvoll: Drachentanz, Trommeln, Vorführung vom Gewinner der Asien-Spiele und und und. Doch langsam zog sich der Tag in die Länge. Niemand wusste so genau, wann er dran kommen würde. Die Toilette, die ich suchte, stellte sich nach mehrmaligem Nachfragen dann tatsächlich als Toilette heraus. Die sanitären Anlagen unterscheiden sich doch erheblich von den europäischen. Dann wurde plötzlich meine Nummer aufgerufen, alles ging nun sehr schnell. Noch bevor ich realisierte, was ich gegen meinen Kontrahenten machen konnte, war ich aussichtslos im Rückstand. Seine Stöße waren mehr wie Schläge und mir taten nach dieser Begegnung für zwei Stunden die Schultern weh.
Im Park hatte man mir zwar oft gesagt: »Lass den Gegner kommen« und ich solle locker sein. Doch gegen so viel Wucht ist es ein Trugschluss zu glauben, dass ich alles einfach nur durch Lockerheit (Yin) umlenken kann. Ich muss mindestens dieselbe Spannung (Yang) wie meine Gegenseite aufbringen, die ich dann wieder lösen kann, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Zusätzlich spielt die Reaktionszeit eine wichtige Rolle. Im Moving Step ging es mir dann besser, aber zwei dumme Fehler brachten mich auf die Verliererstraße. Mein Partner hatte das bessere taktische Konzept. Er machte fast nichts und blieb ständig passiv. Ich wurde zu früh ungeduldig und machte die ganze Arbeit, was mich zusätzlich auspowerte. Als ich dann alles für einen Punkt riskierte, brachte ich mich selbst aus der Balance und diesen Rückstand konnte ich nicht wieder gut machen. Nach dieser kalten Dusche brauchte ich einige Zeit, bis ich wieder die Fassung fand.

Roland Laritz:
Jetzt hatte ich gewonnen und was nun? Mir blieb eine gute Erfahrung. Vor allem waren es nicht die Siege oder Turniere, die mich weiterbrachten oder mein Taijiquan verbesserten, es war der Antrieb zu üben – an der Technik und mich in meinem Innern zu suchen. Die Vorbereitungszeit war ein unvergesslicher Weg auf der Suche nach meinem Taijiquan.
Ich erlebte einiges bei Turnieren, zum Beispiel bei den Europameisterschaften in Dänemark. Zuerst wurde ich andauernd verwarnt und später durfte ich auf der gleichen Mattenfläche alles anwenden. Auf die Frage, was ich nun anwenden dürfe, erhielt ich die Antwort, das habe nichts mit Taiji zu tun.
Diese Aussage begleitet mein Taiji-Dasein schon einige Jahre. Ich habe für mich eine Antwort gefunden. Was wollen wir ändern und kritisieren? Sind es nicht wir selber, die wir uns ändern sollten und andere Meinungen und Ideen akzeptieren? Es wird in diesem Bereich immer zwei Ansichten geben, Yin und Yang. Aber zeigt uns nicht schon das Taiji-Symbol, dass beides vorhanden sein soll? Jeder einzelne Teil, aus dem sich das Ganze zusammensetzt, ist wichtig. Kein Teil ist wichtiger als der andere. Das Problem ist der Betrachter, indem er seine Schwächen versteckt. So ist zum Beispiel jemand, der stark ist, häufig nicht sensibel oder empfindsam, oder auch umgekehrt.

Andreas Edelmann:
Der Monat in Taiwan ist schnell vergangen, es war eine Zeit, die mich viel gelehrt hat. Vorher kannte ich nur die Taiji-Szene in Europa. Die kleine Welt des Peace Park und einiger anderer Parks haben mir einen größeren Einblick in das Taijiquan gegeben. Meine Formen und mein Push Hands sind besser geworden. Ich habe außerdem erkannt, dass Taijiquan in Europa sehr gut vermittelt wird. Mit dem Taijiquan dort zu beginnen erscheint mir aufgrund der Sprachbarriere, der anderen Mentalität und der undurchsichtigen Methodik sehr schwierig.
Das Wichtigste jedoch war sicherlich, immer wieder zum Training zu gehen. Vor allem lernte ich zu meinen eigenen Fähigkeiten zu stehen, auch wenn ich immer wieder aus der Balance gebracht wurde. Der Widerstand und die Geschicklichkeit meiner (Kampf-)Partner haben mich lernen lassen, obwohl und weil sie mich oft zum Verzweifeln gebracht haben. Mir fällt dazu der Satz ein: »Alles, was mir begegnet, bin ich selbst, und alles, was andere in mir auslösen, bin ich auch selbst.«
Ich denke, wer offen ist sich auf das einzulassen, was ihm begegnet – Trainingspartner, Taijiquan-Formen, Turnierkämpfe ... –, der ist auch offen, den Weg zwischen Yin und Yang zu erfahren und immer besser seinen eigenen (Mittel-)Weg zu finden.



Autoren
Roland Laritz unterrichtet seit 1994 Gongfu, Eskrima, Taijiquan und Qigong in der Tao Kung Fu Schule in Dornbirn und Feldkirch.

Andreas Edelmann ist seit 1996 sein Schüler und hat schon an einigen internationalen Turnieren erfolgreich teilgenommen.

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