Heft 8, 2/2002

Lebensqualität und Leistungsfähigkeit

Bericht über eine Studie zu Qigong und MS.
Von Zuzana Sebková-Thaller


Zu den alternativen Behandlungsmöglichkeiten von Multipler Sklerose gehört die begleitende Unterstützung mit Qigong, das nicht nur zu erstaunlichen Besserungen der körperlichen Symptomatik beitragen, sondern sich auch positiv auf die Lebenseinstellung auswirken kann. Dies wurde erstmals in Deutschland an der Kiliani-Klinik in Bad Windsheim wissenschaftlich dokumentiert. Zuzana Sebková-Thaller, die dort seit mehreren Jahren Qigong-Kurse für MS-PatientInnen leitet, beschreibt die Zielsetzungen und die entsprechend zusammengestellten Übungen dieser Kurse und die positiven Ergebnisse der Studie.
Ihr Beitrag wird ergänzt durch den Erfahrungsbericht von Ivonne Radtke, die selbst als MS-Patientin zum Qigong gefunden hat. Von ihrem Lehrer Li Zhi Chang ermutigt, übt sie seit sieben Jahren Stilles Qigong und hat seither keinen weiteren Krankheitsschub mehr erlebt, die bereits bestehenden Symptome gingen zurück. Sie beschreibt zudem, dass sich ihre ganze Lebenshaltung veränderte.

Vor fünf Jahren wurde ich vom Chefarzt der Kiliani-Klinik Bad Windsheim, Dr. Mertin, eingeladen, einen Kurs für MS-Kranke abzuhalten. Der Kurs wurde damals von den Patienten sehr gut angenommen. Viele von ihnen berichteten von Besserungen und vor allem von der positiven Lebenseinstellung, die sie dadurch gewonnen haben. Daraufhin fanden regelmäßig weitere zweiwöchige Kurse statt, deren Wirkung seit 1999 in einer vergleichenden Pilotstudie ausgewertet wurde.
Es nahmen insgesamt 65 MS-Patienten teil. Nach einem Aufklärungsgespräch bekamen sie Fragebögen über ihre allgemeine Befindlichkeit und Körperwahrnehmung. Dieselben Fragebögen wurden noch einmal am Ende des Qigong-Kurses ausgefüllt. Die Kontrollgruppe bestand aus 24 Patienten, die mit Ausnahme der Qigong-Übungen dieselben ärztlichen wie physikalischen Behandlungen bekamen. Der Kurs wurde stets von mir geleitet, meist in Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Berta Müller. Auch sie besitzt langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit MS-Kranken.
Die Fragebögen wurden von der Psychologin der Kiliani-Klinik, Frau Dr. Schäuble, ausgewertet. Sie beschreibt die Ausgangssituation auf folgende Weise: »Bei chronischen Krankheiten ist oftmals das Gefühl der Stimmigkeit und das Wohlbefinden im eigenen Körper reduziert, die Empfindung für Kraft, Fitness und Gesundheit ist kaum noch vorhanden. Der eigene Körper wird als Einschränkung empfunden und positive Wahrnehmungen über den Körper finden vermindert statt, was mit verstärkter depressiver Symptomatik einhergeht. Die körperlichen Symptome einer Depression, wie zum Beispiel Antriebslosigkeit, Schwäche, Missempfindungen, werden von den Patienten vermehrt wahrgenommen und beschrieben. Damit geht auch Lebensfreude verloren, was nicht allein der MS zuzuschreiben ist.« Die Studie sollte zeigen, ob und in welchem Maße eine Verbesserung durch Qigong-Übungen erzielt werden kann.

Erfreuliche Ergebnisse

In beiden Gruppen wurden – bezogen auf ihre Ausgangslage – Besserungen festgestellt. In der Qigong-Gruppe war diese Besserung allerdings wesentlich ausgeprägter: »Besonders auffällig sind die positiven Veränderungen durch die regelmäßigen Qigong-Übungen bei der Akzeptanz des eigenen Körpers und der selbst eingeschätzten Körpervitalität. Diese Aspekte tragen zu einer Steigerung der Lebensqualität bei, da dadurch Hilflosigkeitsgefühle und negative Selbstbewertung abgebaut werden können«, schrieb Dr. Schäuble in der zusammenfassenden Auswertung. Dieser Erfolg war offenbar anhaltend: Bei späteren Wiedervorstellungen fielen die Patienten, die am Qigong-Unterricht teilgenommen hatten, durch ihre positive Lebenseinstellung auf. Sie sind wesentlich flexibler als zuvor, lösungsorientiert, wissen sich zu helfen und meistern ihren Alltag besser. Als Grund geben sie »Qigong« an. Es habe ihnen geholfen sich selbst besser anzunehmen und biete ihnen eine konkrete Hilfe in verschiedenen Alltagssituationen. Statt mit Ohnmacht oder Panik zu reagieren, besinnen sie sich auf ihre eigenen Kräfte.
Die Graphiken dokumentieren die Besserung der vitalen Körperdynamik, die Minderung der ablehnenden Körperbewertung und die Minderung beziehungsweise das Verschwinden von depressiven Affekten, negativen Denkmustern und motorischen Hemmungen. Beide Gruppen können eine positive Entwicklung ihrer Körperdynamik verzeichnen. Dennoch ist deutlich, dass die Besserung der Qigong-Gruppe vergleichsweise höher ist. Die ablehnende Körperbewertung ist dementsprechend niedriger.

Zielsetzungen und Wahl der Übungen

An der Kiliani-Klinik wurde ein Übungssystem praktiziert, das von mir speziell für MS-Kranke zusammengestellt und teilweise auch neu kreiert worden ist. Es nimmt Rücksicht auf die spezifische Symptomatik der Erkrankung: auf die Sensibilitätsstörungen, die Spastik, eingeschränkte Beweglichkeit und auf die Funktionseinschränkung einzelner Organe. Die Patienten lernten einfache Übungen, die in den Alltag der Klinik und zu Hause integriert werden können. Darüber hinaus wurden ihnen die Wirkprinzipien des Qigong gezeigt, mit deren Hilfe sie eine umfassende Energiepflege praktizieren können.
Unsere Zielsetzung war umfassender als die Fragestellungen des standardisierten Auswertungsbogens der Studie, die den somatischen Status gar nicht thematisierte. Trotzdem betrachte ich diese Pilotstudie als sehr wichtig und wegweisend und hoffe, dass ihr größere und gründlichere Studien folgen werden. Ich möchte an dieser Stelle meinen tiefen Dank vor allem dem Chefarzt der Kiliani-Klinik Dr. Mertin aussprechen, der von Anfang an diese Studie mitgetragen hat.

Änderung der gegenwärtigen Haltung zu sich selbst, die durch die Diagnose »Multiple Sklerose« entstanden ist oder zu der Krankheit geführt hat, durch:
• Übungen zur Pflege des Inneren Lächelns
• Reinigungsübungen
- zur Ablegung von psychischen Belastungen
- zur Reinigung des Körpers und aller seiner Zellen von schlechten, stagnierenden Energien
• Achtsamkeitsübungen
• Umprägeübungen
Wer lernt, seinem Körper und allen seinen Organen mit einem Lächeln zu begegnen, der signalisiert seinem autoaggressiven Immunsystem eine Wende. Reinigungsübungen entlasten Körper und Geist. Die Achtsamkeitsübungen führen zu gesteigerter Sinneswahrnehmung. Dadurch wird Energie aktiviert. Umprägeübungen zusammen mit einer markanten Atemwende initiieren eine Lebenswende.

Festigung der Lebenshaltung durch die »Qigong-Haltung
• »Ich bin verwurzelt« (»Durch die Fußherzen atmen«, »Wurzeln bilden« etc.)
• »Ich werde gehalten und geführt«
• »Ich bin im Lot«
• »Ich bin elastisch wie ein Bambusbaum im Wind«
• »Ich habe das Gefühl für meine Mitte«
Die »Qigong-Haltung« lehrt sich zu verwurzeln, aufrecht zu stehen oder zu sitzen, im Lot zu sein, das Gefühl für die Mitte zu haben. Die leibhaftige Übung prägt die geistige Haltung. Ein Mensch mit geschmeidiger Wirbelsäule ist geistig beweglicher und seelisch stabiler als einer mit steifer Wirbelsäule. Umgekehrt kann der Geist mit der Kraft seiner Vorstellung den Körper entspannen und lockern.
Die Patienten staunen, wie die neue Körperhaltung ihre gesamte Haltung positiv beeinflusst und auch umgekehrt, wie sie mit ihrem Geist auf ihren Körper wirken können. Diese neue Erfahrung fasziniert sie. Immer wieder drücken sie ihr Erstaunen aus. Sie spüren, dass sie selbst etwas bewirken können.

Wahrnehmung des kosmischen Zusammenhangs
• »Ich bin ein Teil des Kosmos, den ich widerspiegle. Ich bin im ständigen Austausch und teile meinen Atem mit ihm.«
• »Meine Mitte ist die Mitte zwischen Himmel und Erde und der einzige Zugang zum Ganzen.«
Die Resonanz zwischen dem Makro- und dem Mikrokosmos weckt ungeahnte Heilungskräfte.

Besserung der Spastik durch geeignete Entspannungsübungen
• Entspannungsübungen aus dem ChanMi-Gong, die bis in die Zellebene reichen: Alle Zellen blühen, strahlen und lächeln
• Durchlässigkeit des Beckenbodens
Allein durch die Entspannungsübungen können Patienten mit ihren Fingern besser greifen, eine bessere Aussprache erzielen und weitere Strecken laufen.

Steigerung der allgemeinen Kondition durch einfache Übungen für den Alltag:
• Atemübungen
- bewusste Atemführung, die mit allen Sinnen in allen Körperzellen wahrgenommen wird
- Bauchatmung
- Wechseln von Bauch- und Brustatmung
- Bauchnabel- und Zwerchfellatmung
- Visualisierung der Quelle des Atems und seines Wegs
- Atmung durch die wichtigsten Energiepforten in senkrechter Richtung: durch den Beckenboden und das Gebiet um den Baihui zusammen mit bestimmten Lauten
• verschiedene Wirbelsäulenbewegungen in der Art des ChanMi-Gong ausgehend von den Basisübungen mit Hilfe von verschiedenen Bildern wie Skorpion, Pendel, Raupe, Schlange ...
• verschiedene Visualisierungsspiele im Bauchraum (rollender lachender Leuchtball, Seidenbänder, Leuchtspiralen ...)
• verschiedene Visualisierungsspiele im Brust- und Kopfraum
• verschiedene Arten von Qigong-Massagen
• Hand-, Finger-, Fuß- und Zehenübungen, körperlich durchgeführt und auch nur vorgestellt
• der Kleine Kreislauf
• einfache Bewegungsübungen

Die verschiedenen Atemübungen steigern die Achtsamkeit und verbessern die Energieversorgung im ganzen Körper. Zusammen mit den Visualisierungsspielen im Bauchraum steigern sie die energetische Aufnahmefähigkeit und Durchlässigkeit. Die Wirbelsäulenübungen steigern den Energiefluss durch die Wirbelsäule, der auch das Gehirn und alle Organe versorgt. Viele MS-Patienten können nur sitzen und die Wirbelsäule kaum sichtbar bewegen. Aber auch die kleinsten oder nur vorgestellten Bewegungen haben eine große Wirkung. Besonderes Gewicht wird auf die Durchlässigkeit des Beckenbodens und das »Steißbeinschwingen« gelegt.
Reibeübungen der Finger, Hände, Füße und Zehen, die vor allem mit Hilfe der Vorstellungskraft durchgeführt werden, bessern die Sensibilität und aktivieren Energie. Durch verschiedene Energiekreisläufe, die mit Hilfe des Atems und der Vorstellung ausgeführt werden, wird die schlechte stagnierende Energie entsorgt und neue frische Energie zugeführt. Der Kleine Kreislauf verteilt die neu geweckte Energie gleichmäßig im ganzen Körper und trägt zur Ausgewogenheit der Übenden bei. Diese intensivste »innere Arbeit« trägt bald sichtbare Früchte auf allen Ebenen.
Die Bewegungsübungen sind einfach. Sie entstammen verschiedenen Übungssystemen: »Das Feuer entfachen« und »Die eiserne Hand« aus den »Zehn Meditationen auf dem Berg Wudang«, »Den Bogen spannen« aus den »Acht Brokaten«, einige Übungen aus dem »Innen nährenden Qigong« nach Liu Yafei oder aus den Fünf-Organe-Übungen. Sie ergänzen die Wirkung der anderen Übungen und werden in dem Maß ausgeführt, wie es die Bewegungsmöglichkeiten der Patienten erlauben.

Steigerung der Entscheidungskraft durch Übungen und Übungselemente aus den östlichen Verteidigungssportarten

Zum Heilungsprozess gehören im gleichen Maße Offenheit und Entschiedenheit. Viele MS-Patienten können nicht »nein« sagen und haben Schwierigkeiten, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Nach diesen Übungen blicken sie unerschrocken um sich. Es fällt ihnen leichter, sich zu entscheiden und zu sagen: »Ich pack es jetzt an!«

Unterstützung anderer Methoden der westlichen Medizin und Minderung ihrer Nebenwirkungen
Dazu eignen sich verschiedene Energiekreisläufe, die gezielt bestimmte Organe ent- und versorgen. Diese Energiekreisläufe werden mit Hilfe von Wirbelsäulenbewegung, Atemführung und Visualisierung ausgeführt. Sie stammen aus dem ChanMi-Gong und helfen zum Beispiel die Zellreinigung zu unterstützen und die Myelinschicht und die Blut-Hirn-Schranke wieder aufzubauen.

Initiierung des eigenen Heilungsprozesses
Das gemeinsame Üben und die ersten gemeinsam erlebten Besserungen initiieren Heilungsprozesse, die erfreulicherweise von allen Teilnehmern wahrgenommen wurden.

Am Anfang steht die Motivation

Zu Beginn des Kurses geht es vor allem darum, die Patienten überhaupt zu motivieren. Die meisten von ihnen haben von Qigong noch nie etwas gehört. MS-Kranke sind meist skeptische Patienten. Sie haben ihre Krankheit seit vielen Jahren und »haben alles schon probiert. Sie werden nicht meinen, dass Sie mit Ihren Übungen etwas ändern können!« »Ich bestimmt nicht«, antworte ich dann. »Das können nur Sie. Und Sie müssen es wollen.« Ich versuche nicht, die Patienten zu bekehren. Im Gegenteil weise ich darauf hin, dass es viele verschiedene Wege gibt. Es ist aber wichtig sich darauf einzulassen, bevor man sagt, dass es für einen nichts ist. Diese Patienten müssen bald eine Wirkung spüren, sonst sind sie in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt. Meist bleiben von 25 Teilnehmer drei bis fünf, ausnahmsweise auch sieben bis acht während der ersten Woche fort. Die anderen aber üben umso fleißiger. An den Wochenenden gibt es keinen Kurs, aber die Patienten organisieren oft selber Übungsgruppen.
Während der Übungsstunden dürfen mich die Patienten jederzeit unterbrechen und fragen und ihre persönlichen Wünsche äußern. Ich fordere sie auch stets auf, über ihre Erfahrungen bei den Übungen zu berichten. Es wird allmählich jedem klar, dass Qigong den Weg zum Genuss eröffnet und dass Genuss eng mit Heilung und Gesundheit verbunden ist.
Die Kenntnis der Wirkprinzipien des Qigong ist wichtiger als das Wissen über die Abläufe und die technisch einwandfreie Durchführung. Es geht uns darum, dass die Patienten einfachste, in den Alltag integrierbare Übungen lernen, die sie überall und zu jeder Zeit praktizieren können, und dass sie die Wirkprinzipien von Qigong begreifen, so dass sie sich selbst helfen können. Sie wissen, dass sie Schmerzen, Entzündungen und verschiedene Sensationen mit dem Yin-Kreislauf über die Vorderseite ableiten können und dass sie sich mit dem Yang-Kreislauf schnell aufbauen, ebenso dass sie sich mit Hilfe innerer Bilder im Bauch gleichzeitig zentrieren und energetisch stärken können. All dies ist vor allem deswegen wichtig, weil das Erscheinungsbild der MS sehr unterschiedlich ist. Während einige an Sensibilitätsstörungen leiden, haben andere Schwierigkeiten mit der Blase, mit den Augen oder mit der Sprache.

Zusammenspiel von Alltag und Übung

Zunächst erarbeiten wir ein Tagestrainingsprogramm. Die Kursteilnehmer brauchen am Anfang feste Hilfen. Sie beginnen mit ein paar Atem- und Massageübungen in der Frühe und beenden den Tag mit einer Reinigungsübung vor dem Schlafengehen. Beim Kochen schwingen sie kreisförmig mit der Wirbelsäule und beim Fernsehen reiben sie ihre Fingerspitzen. Sie wissen, welche Übungen sie bei Ratlosigkeit, Überforderung oder Traurigkeit wählen. Dieses »Wissen« gibt ihnen am Anfang das Gefühl der Sicherheit. Sie verwenden gerne meine Kassetten, weil sie zunächst eine gewisse Leitung brauchen.
Es war schön zu sehen, dass sich bei einigen bereits in den ersten Tagen und bei vielen am Ende der ersten Woche Änderungen und Besserungen eingestellt haben. Die ersten Anzeichen waren eine bessere Konzentration während der Übungen, ein gelöstes Gesicht und ein glückliches Lächeln. Dazu kamen Fragen und Meldungen folgender Art: »Kann es sein, dass ich etwas im Fuß spüre, wo ich kein Gefühl habe?« »Ich kann meinen Arm besser bewegen«, oder auch »Ich bekomme Schmerzen, wo ich seit Jahren nichts mehr gespürt habe«. Am Ende der zweiten Woche »fließt« die Wirbelsäule, die Kursteilnehmer haben Spaß an inneren Übungen und spüren die Kraft der Mantren. Der Spasmus löst sich für längere Zeit, die Extremitäten sind bei vielen beweglicher. Die Patienten beginnen schöpferisch mit Qigong umzugehen und eigene Visualisierungsübungen zu entwerfen. Das Üben macht ihnen Spaß. Die zwei Stunden Übungszeit, die am Anfang mit Pausen zu lang schienen, kommen nun den meisten zu kurz vor.
Die letzten zwei Male hatten wir das Glück, den Kurs auf drei Wochen ausweiten zu können. In der dritten Woche konnte sich alles nochmals festigen und wir waren Zeugen von einigen unglaublichen Besserungen. Ein Patient, der am Anfang des Kurses so stark gekrümmt in seinem Rollstuhl saß, dass sein Gesicht nicht zu sehen war und er völlig teilnahmslos wirkte, richtete sich auf und begann die anderen Teilnehmer zu unterhalten. Er zeigte stolz allen, wie hoch er nun seine Arme heben kann. Eine andere Patientin konnte wieder ihre Blase beherrschen, eine weitere konnte wesentlich besser gehen. Das Wichtigste aber ist stets die Änderung der Lebenshaltung, die die meisten Patienten erfahren. Eine Patientin hat es in ihrem Abschlussbrief besonders deutlich ausgedrückt: »Ich habe MS seit 20 Jahren. Dass ich immer noch nicht im Rollstuhl sitze, verdanke ich sicherlich meinem Kampfgeist. Ich habe immer gegen die Krankheit angekämpft und mir immer nur den einen Satz wiederholt: Nicht nachgeben! Ich bin dadurch hart geworden. Mein Leben war ein einziger Kampf. Jetzt sehe ich, dass man es lächelnd viel besser schaffen kann. Ich beginne, das Leben zu genießen!«



Heilung durch die Kraft der Vorstellung

Eine MS-Patientin schildert ihre Erfahrungen. Von Ivonne Radtke

Im Alter von 29 bekam ich vor nunmehr neun Jahren mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen Multiple Sklerose. In den folgenden zwei Jahren hatte ich insgesamt fünf Schübe. Meine Symptome reichten von Geh- und Sehstörungen über Missempfindungen wie Pelzigkeit des kompletten Kopfes bis hin zu kleineren Lähmungen, Gleichgewichtsproblemen und Drehschwindel. Während dieser zwei Jahre begann ich verschiedene Methoden auszuprobieren wie Yoga, Feldenkrais, Taijiquan, autogenes Training. In den Kursen erfuhr ich das erste Mal, was Entspannung bedeutet. Bei einem Seminar in einem Aikido- und Shiatsu-Studio hatte ich ein entscheidendes Schlüsselerlebnis: Ich verwurzelte mich mental mit dem Boden, so dass mich die beiden Frauen, die mich zuvor mit Leichtigkeit entgegen meiner Muskelkraft vom Boden gehoben hatten, nicht mehr hochheben konnten. Mein Gedanke damals war: »Wenn das geht, nur weil du es dir vorstellst, kannst du dir auch vorstellen, gesund zu sein.«
Ich »meditierte« – ging in einen ruhigen Zustand, beobachtete den Atem, ließ los. Eines Tages spürte ich im Körper etwas Fließendes und Wärme. Ich dachte mir, dass das wohl Heilenergien sein müssten, und ließ sie bewusst durch den Körper fließen. In mir stieg ein Gefühl der Stärke empor und das Wissen, dass ich es schaffen würde. Natürlich gab es Zeiten, in denen ich ganz unten war, weil die MS einfach kein Ende nahm und weil die Symptome mich teilweise nicht mehr aus dem Haus kommen ließen. Manchmal wollte ich so nicht mehr weiterleben und übergab in den tiefsten Stunden mein Leben einer höheren Kraft. In den Meditationen jedoch spürte ich immer wieder die Kraft in mir und bekam auch Visualisierungen vom Heilvorgang. Ich sah zum Beispiel kleine Elfen die Wirbelsäule hinaufschweben und Vernarbungen mit ihren Zauberstäben auflösen.
Im ausklingenden fünften Schub nahm ich an einem einwöchigen Seminar bei Li Zhi Chang im Stillen Qigong teil. Ich spürte sogleich, dass dies das Meine war. Li Zhi Chang meinte zudem, dass ich gesundheitlich gesehen ganz gute Chancen hätte, wenn ich üben würde. Und das tat ich dann auch. Zuerst übte ich anderthalb Jahre allein die erlernten Übungen (Schüttelübung, Kleiner Kreislauf, Pflege des Qi), dann machte ich einen zweijährigen Ausbildungslehrgang bei Li Zhi Chang. Bis heute nehme ich regelmäßig an Seminaren teil und gebe das Stille Qigong im Rahmen meiner Möglichkeiten seit über drei Jahren auch weiter. Einen MS-Schub hatte ich keinen mehr – seit nunmehr sieben Jahren.

Blockaden bewusst auflösen

Beim Stillen Qigong leitet man das Qi mental mittels der Vorstellungskraft auf bestimmten Bahnen oder zu bestimmten Punkten im Körper. Damit konnte ich meinen selbstgebastelten Meditationen, bei denen ich ja auch Heilenergien durch den Körper geschickt hatte, eine Form geben, die auf der chinesischen Medizin basiert, also mehr oder weniger wissenschaftlich ist. In der chinesischen Medizin entstehen Krankheiten ja vorwiegend durch Blockaden der Energie. Bei der MS befinden sich diese Blockaden in der Wirbelsäule. Sie bauen sich von unten nach oben auf. Umso weiter oben die Blockaden sind, umso schwerer scheint die Beseitigung zu sein. Ich konnte durch bestimmte Übungen aus dem Stillen Qigong lernen, die Energie bewusst dort hinaufzuleiten. Da ich das Qi als Wärme fühlen kann, ist es für mich einfacher an das Qigong zu »glauben«.
Eine klassische Übung hierzu wäre der »Kleine Kreislauf«, bei dem man im Unterbauch beginnend mit der Vorstellung über den Dammpunkt nach hinten und die Wirbelsäule hinaufgeht, über den Kopf dann wieder an der Körpervorderseite zum Unterbauch hinunter. Da diese Übung die wichtigen Meridiane Renmai und Dumai an der Körpervorderseite und -rückseite verbindet, die wiederum mit allen anderen Meridianen in Kontakt stehen, tut man gleichzeitig etwas für den gesamten Körper. Diese Übung ist also nicht speziell gegen MS. Eine andere Möglichkeit, die Energieblockaden in der Wirbelsäule zu »bearbeiten«, besteht darin, die Energie von oben kommen und die Wirbelsäule hinunterfließen zu lassen. Alle Übungen werden mit der Vorstellung ausgeführt, was mir persönlich sehr liegt. Ich denke, dass ich durch das Üben von Stillem Qigong die Neubildung von Blockaden verhindert habe. Die Symptome sind fast vollständig verschwunden, so dass ich keine Einschränkungen mehr erlebe. Abgesehen davon ist auch mein sonstiger Gesundheitszustand außerordentlich stabil.
Außer dem Üben von Qigong las ich viel über Psychologie und Psychosomatik. Ich lernte etwas über Familiensysteme und Verhaltensmuster. Durch das Beobachten meiner Gedanken und Gefühle bin ich bis heute stetig bestrebt, gesundheitsschädliche Muster zu erkennen und zu ändern. Mein Leben hat sich durch die MS und das Qigong total verändert. Durch die MS wurde es zuerst einmal völlig zerstört. Ich hatte nicht nur meine Arbeitsstelle und meinen Freund verloren, sondern auch meine Gesundheit, so dass mein Leben, wie ich es kannte, beendet war. Durch die Meditation und das Stille Qigong jedoch habe ich erfahren, was es heißt innerlich ruhig und friedlich zu sein. In der inneren Ruhe entsteht die Kraft, das Leben mit seinen alltäglichen Dingen zu meistern und auch gesund zu bleiben. Qigong verbindet den Menschen mit allem – mit sich selbst, mit den anderen Menschen, mit der Natur, mit dem ganzen Kosmos. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben weitergehende Gedanken gemacht: Was ist der Sinn des Lebens? Welche Arbeit möchte ich wirklich tun, die auch für andere von Nutzen ist? Was für Gefühle, Gedanken und alte Verhaltensmuster lenken mich völlig unbewusst? Für mich ist der Sinn des Lebens, mich möglichst weit zu entwickeln, ein besserer Mensch zu werden, schöne Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen. Mit dem Unterrichten von Qigong kann ich etwas weitergeben, das mir sehr viel bedeutet. Ich kann so den anderen auch etwas Gutes tun, wenn sie sich dafür öffnen können. Durch meine ehrenamtliche Arbeit bei der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft kann ich Neu-Betroffenen Mut und Hoffnung machen. Leider sagen einem ja die Ärzte, dass man unheilbar krank sei und außer Stressvermeidung nichts für seine Gesundheit tun könne.


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